Software-Wertgutachten

Die Digitalisierung fast aller Branchen führt dazu, dass wesentliche Assets oder Aktiva einer Organisation heute aus Immaterialgütern, insbesondere Software bestehen. Im Rahmen von Unternehmenskäufen, Asset-Deals, Make-or-buy-Entscheidungen oder auch Technologie-Transfers im Konzern muss schwer fassbare Software mit einem konkreten „Preisschild“ versehen werden. Wertgutachten sind eines der schwierigsten Gutachtenthemen, da es eine Vielzahl unterschiedlicher Wertbegriffe gibt, die für dieselbe Software tatsächlich zu Millionenwerten oder einer 0€-Bewertung führen können. Die wichtigsten Wertbegriffe werden im Folgenden erläutert:

Erstellungswert

Dieser Wertbegriff orientiert sich an den Kosten, die einem Dritten entstehen würden, wenn er die Software ohne das bisherige Entwicklungsteam, aber mit dem Wissen über den fachlichen Funktionsumfang neu erstellen will. Dieser Wertbegriff ist häufig bei Entscheidungen hilfreich, ob eine Software hinzugekauft werden oder selbst entwickelt werden kann. Dabei spielt insbesondere auch die Dauer eines möglichen Entwicklungsprojekts im Hinblick auf die Opportunitätskosten (d.h. z.B. dem entgangenen Gewinn durch einen späteren Start) eine große Rolle. Ein Wertgutachten unter diesem Wertbegriff wird umso genauer, umso mehr Rahmenbedingungen für das Entwicklungsprojekt bekannt sind. Es macht beispielsweise einen großen Unterschied, ob das Projekt in einem kleinen Startup mit schlanken Fixkosten, in einem Konzern mit großen Fixkosten oder in einem Offshoring-Model (Verlagerung von Teilen der Entwicklung in ein Niedriglohnland) entwickelt wird. Ein Erstellungswertgutachten setzt – wie alle Aufwandschätzungen in der Softwareentwicklung – auf den quantifizierbaren Faktoren der Software auf (z.B. Zeilen Code, Anzahl Schnittstellen, Anzahl Datenbanktabellen, Anzahl Dialogmasken etc.). Typische Einsatzszenarien sind die Beurteilung von Asset-Deals, Share-Deals oder die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, bei denen ein Partner Software und der andere Kapital einbringt.

Ertüchtigungswert

Oft ergibt sich gerade bei Unternehmenstransaktionen der Wert einer Software nicht aus messbaren, technischen Kriterien der Software selbst, sondern aus dem Ertragspotential des Softwareprodukts (siehe Ertragswertgutachten). Nichtsdestotrotz werden im Rahmen einer technischen Due-Diligence häufig Mängel bei einem Software-Asset festgestellt, deren Behebungskosten den Gesamtkaufpreis zumindest beeinflussen. Als Variante des Erstellungswertgutachtens ermittelt das Ertüchtigungswertgutachten einen Schätzwert für die Kosten der Mängelbeseitigung.

Ertragswert

Unabhängig von technisch messbaren Faktoren bezeichnet der Ertragswert den über eine gewisse Zeitspanne summierten (und ggf. abdiskontierten) Netto-Gewinn, der mit der Software erzielt wird. Dieser Wertbegriff ist ein kaufmännischer Begriff, mit dem der Wert von Investitionen bestimmt werden kann. Ertragswertgutachten zu Software beinhalten häufig Marktrecherchen zu vergleichbaren Produkten und Schätzungen zu Pflege- und Weiterentwicklungskosten. Bei Cloud-Software sind auch die Betriebskosten ein wesentlicher Faktor bei der Wertbestimmung. Technische Sachverständige können zu einer solchen im Kern kaufmännischen Wertbetrachtung grundlegende Faktoren wie z.B. die Kostenseite oder auch Marktpreise technisch vergleichbarer Produkte ermitteln.

Verkehrswert (Marktwert)

Der am Markt im freien Verkehr erzielbare Wert ist immer dann interessant, wenn es um die Absicherung von Gläubigern oder Investoren geht. Insbesondere beim Einbringen (Aktivieren) von Software-Assets in Kapitalgesellschaften als Teil des Grundkapitals geht es hier um den Preis, den die Software bei einem Verkauf (z.B. durch den Insolvenzverwalter) erzielen würde. Bei individuell erstellter Software oder einem gänzlich neuen Softwareprodukt ist dieser Wertbegriff häufig problematisch, da es de facto keinen Markt mit Vergleichspreisen gibt. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass der Verkehrswert der Software mit 0€ angesetzt werden muss.

Weitere Wertbegriffe

Begriffe aus dem Sachversicherungsbereich wie Zeitwert oder Restwert spielen bei Software keine große Rolle, bei Hardware jedoch schon. Hier gelten dann die von den Versicherungen vorgegebenen Wertbegriffe.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Wertgutachten nicht gleich Wertgutachten ist. Je nach Einsatzzweck und Softwaretyp muss ein passender Wertbegriff als Teil des Gutachtenauftrags gewählt werden.