Im Verlauf der mehrjährigen Genese der Künstliche Intelligenz Verordnung (KI-VO) hat sich die für den Geltungsbereich der KI-VO entscheidende Definition des zentralen Regulierungsgegenstands „KI-System“ drastisch verengt: Während im ursprünglichen Entwurf der Kommission quasi alle Technologien, die die Informatik in das weite Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz einordnet, ausdrücklich genannt waren, beschränkt sich die finale KI-VO nun auf Systeme, deren Verhalten zumindest zum Teil auf nicht von Menschen definierten Regeln basieren. Ein genaues Verständnis dieser Abgrenzung ist zur rechtlichen Bewertung konkreter Sachverhalte entscheidend.
Dieser Beitrag analysiert zunächst die rechtliche Definition von „KI-System“ aus technischer Sicht (I.) und zeigt sodann am Beispiel einer vermeintlich „unverdächtigen“ Lernsoftware zur schriftlichen Multiplikation, die in mehreren Schritten mit unterschiedlichen Technologien weiterentwickelt wird, ab genau welchem technologischen Punkt der Geltungsbereich der KI-VO beginnt (II.). In der abschließenden Bewertung wird die forensische Trennschärfe der Definition diskutiert (III.).
Stiemerling, Oliver: „Was ist ein KI-System im Sinne der KI-VO? – Erste Ansätze zur praktischen Abgrenzung „normaler“ Systeme der Informationsverarbeitung“, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln, CR 2024, 554-558